Befristung eines Arbeitsvertrags kann ausnahmsweise trotz Vorliegens sachlicher Gründe rechtsmissbräuchlich sein

Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein. Dies gilt insbesondere bei sehr langer Gesamtdauer oder einer außergewöhnlich hohen Anzahl aufeinander folgender Befristungen mit demselben Arbeitgeber. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteilen vom 18.07.2012 entschieden.

Nach § 14 I Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, beispielsweise zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers. Dem Sachgrund der Vertretung steht nach der Rechtsprechung des Siebten Senats des BAG auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegen. Entscheidend sei allein, ob bei der letzten Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließe den Sachgrund der Vertretung nicht aus. Der Siebte Senat hatte allerdings Bedenken, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert ist, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Deswegen rief er den Europäischen Gerichtshof an.

Der EuGH entschied, dass zwar wiederholtes oder gar dauerhaftes Zurückgreifen auf befristete Vertretungen sachlich gerechtfertigt sei. Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.06.1999 (Rahmenvereinbarung) verhindern soll. Bei dieser Prüfung könnten sich Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.

Hiervon ausgehend entschied das BAG, dass das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegenstehe, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden könne. Allerdings könne unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch seien jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Es müssten dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge berücksichtigt werden..

Ein arbeitsgerichtliches Urteil, mit dem das Landesarbeitsgericht Köln die Befristungskontrollklage einer beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigten Justizangestellten abgewiesen hatte (BeckRS 2009, 68637), hob das BAG ausgehend von diesen Grundsätzen auf (Az.: 7 AZR 443/09). Die Klägerin war beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Für diese Befristung lag zwar der Sachgrund der Vertretung vor. Die Gesamtdauer von mehr als elf Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprachen nach Ansicht des BAG dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt habe. Der Siebte Senat gab der Klage dennoch nicht statt, sondern verwies die Sache zurück. Denn dem beklagten Land sei Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen.

Dagegen wies der Senat die Befristungskontrollklage einer anderen Klägerin (Az.: 7 AZR 783/10) mit Blick auf eine Eltenzeitvertrung jedoch ab. Angesichts einer Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen gäbe es in diesem Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs.

BAG, Urteil vom 18.07.2012 – 7 AZR 783/10; 7 AZR 443/09