EuGH: Krankheit kann Behinderung sein und zu Teilzeitangebot verpflichten

„Behinderung“ i.S.d. RL 2000/78/EG ist auch ein Zustand, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn die Krankheit eine lang dauernde Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern kann.

Eine Arbeitszeitverkürzung kann eine Vorkehrungsmaßnahme i.S.v. Art. 5 der RL 2000/78 darstellen. Das nationale Gericht hat zu beurteilen, ob die Arbeitszeitverkürzung als Vorkehrungsmaßnahme im Einzelfall eine unverhältnismäßige Belastung des Arbeitgebers darstellt.

Die krankheitsbedingt gekündigten Arbeitnehmerinnen begehren in den Ausgangsverfahren Schadensersatz nach dem dänischen AGG. Ihre Fehlzeiten seien auf eine Behinderung zurückzuführen, weshalb die Arbeitgeber nach Art. 5 der RL 2000/78 verpflichtet gewesen seien, eine Arbeitszeitverkürzung anzubieten. Der EuGH hatte auf Vorlage des dänischen Gerichts im Kern darüber zu entscheiden, ob Krankheit eine Behinderung i.S.d. RL 2000/78 sein kann, ob eine Funktionsbeeinträchtigung, die im Wesentlichen oder nur in der Unfähigkeit zur Vollzeitarbeit liegt, eine Behinderung darstellt und ob eine Arbeitszeitverkürzung als angemessene Vorkehrungsmaßnahme angesehen werden kann.

In dem Urteil konkretisiert der EuGH seinen erstmals im Urteil Chacón Navas (NZA 2006, 839) definierten Behindertenbegriff i.S.d. RL. Unverändert stelle nicht jede Krankheit auch eine Behinderung dar. Anderes gelte, wenn eine ärztlich diagnostizierte heilbare und unheilbare Krankheit eine lang dauernde Einschränkung mit sich bringt, die den Betroffenen an der vollen Teilhabe am Berufsleben hindern kann. Die RL wolle nicht nur angeborene oder von Unfällen herrührende Behinderungen erfassen. Eine Behinderung liege schon in der Beeinträchtigung der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, nicht erst in ihrer Unmöglichkeit. Der Gesundheitszustand von Menschen mit Behinderung, die zumindest Teilzeit arbeiten können, könne daher unter den Begriff der Behinderung fallen. Auf vom Arbeitgeber zu treffende Maßnahmen komme es für die Behinderung nicht an, diese seien Folge und nicht Tatbestandsmerkmal des Behindertenbegriffs. Die vom Arbeitgeber nach Art. 5 der RL zu treffenden angemessenen Vorkehrungen seien weit zu verstehen, dürften den Arbeitgeber aber nicht unverhältnismäßig belasten. Dies zu prüfen sei Sache der nationalen Gerichte.

EuGH, Urteil vom 11.04.2013 – C-335/11, C-337/11

(Quelle: Beck online)