EuGH: Geringere Entlassungsabfindung für kurz vor Rente stehende Arbeitnehmer zulässig

Ein Sozialplan darf eine geminderte Entlassungsabfindung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. Dies hat Europäische Gerichtshof entschieden. Allerdings stelle es eine nach dem Unionsrecht verbotene Diskriminierung dar, wenn bei der Berechnung dieser Minderung die Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente wegen einer Behinderung berücksichtigt wird.

Ein zwischen dem deutschen Unternehmen Baxter und dessen Betriebsrat geschlossener Sozialplan sieht vor, dass der Abfindungsbetrag für Arbeitnehmer bei betriebsbedingter Kündigung insbesondere von der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit abhängt (Standardberechnungsmethode). Für Arbeitnehmer, die älter als 54 Jahre sind, sieht der Plan jedoch vor, dass die Abfindung auf der Grundlage ihres frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird (alternative Methode). Die diesen Arbeitnehmern zu zahlende Abfindung ist geringer als die Summe, die sich nach der Standardmethode ergeben würde. Sie muss allerdings mindestens die Hälfte dieser Summe betragen.

Johann Odar, der mehr als 30 Jahre bei Baxter beschäftigt war, ist als Schwerbehinderter anerkannt. Nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Unternehmen erhielt er aufgrund des Sozialplans eine Entlassungsabfindung. Da er über 54 Jahre alt war, erhielt er einen geringeren als den Betrag, auf den er bei niedrigerem Alter Anspruch gehabt hätte. Die im Sozialplan vorgesehene Berechnungsmethode bei betriebsbedingter Kündigung stellt somit eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung dar. Wenn der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, sieht der Sozialplan darüber hinaus vor, dass bei der Berechnung nach der alternativen Methode auf diesen Zeitpunkt abgestellt wird. Nach Klage Odars hat das Arbeitsgericht München beschlossen, den Gerichtshof zu befragen.

Laut EuGH steht das im Unionsrecht vorgesehene Verbot jeder Diskriminierung wegen des Alters (Richtlinie 2000/78/EG) der hier vorgenommenen Regelung zur Berechnung der Entlassungsabfindung anhand des Alters nicht entgegen. Eine solche Ungleichbehandlung könne durch das Ziel gerechtfertigt werden, einen Ausgleich für die Zukunft zu gewähren und die jüngeren Arbeitnehmer zu schützen sowie ihre berufliche Wiedereingliederung zu unterstützen. Sie trage zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel eines Sozialplans Rechnung. Darüber hinaus sei es legitim zu vermeiden, dass eine Entlassungsabfindung Personen zugutekommt, die keine neue Stelle suchen, sondern ein Ersatzeinkommen in Form einer Altersrente beziehen wollen. Eine Regelung wie die hier vorliegende erscheine nicht offensichtlich unangemessen und gehe nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinaus. Der Gerichtshof führt zudem aus, dass die in Rede stehende Regelung die Frucht einer von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern ausgehandelten Vereinbarung ist, die dabei ihr als Grundrecht anerkanntes Recht auf Kollektivverhandlungen ausgeübt haben.

Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass das im Unionsrecht vorgesehene Verbot jeder Diskriminierung wegen einer Behinderung der Regelung entgegensteht, soweit bei der Anwendung der alternativen Methode auf die Möglichkeit abgestellt wird, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten. Durch diese Ungleichbehandlung nichtbehinderter und behinderter Arbeitnehmer werde nämlich sowohl das Risiko für Schwerbehinderte – die im Allgemeinen größere Schwierigkeiten als nichtbehinderte Arbeitnehmer haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern – als auch die Tatsache verkannt, dass das Risiko steigt, je mehr sie sich dem Renteneintrittsalter nähern. Schwerbehinderte hätten jedoch spezifische Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Schutz, den ihr Zustand erfordert, und mit der Notwendigkeit, dessen mögliche Verschlechterung zu berücksichtigen. Die in Rede stehende Regelung bewirke folglich eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer. Sie Regelung gehe über das hinaus, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten sozialpolitischen Ziele erforderlich ist.

EuGH, Urteil vom 06.12.2012 – C-152/11

(Quelle Beck online)

Bloße Fortsetzungsverhandlungen rechtfertigen kein Absehen von fristgemäßer Kündigungsschutzklage

Verhandlungen über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach dem Ausspruch einer Kündigung allein rechtfertigen ein Absehen von einer fristgemäßen Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht, sondern erst eine bindende Vereinbarung oder Zusage über die Fortsetzung. Dies hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 02.11.2012 entschieden und einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückgewiesen.

Die Arbeitgeberin hatte das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin am 07.11.2011 gekündigt. Am 25.11.2011 unterrichtete die Arbeitnehmerin den Geschäftsführer der Arbeitgeberin von einer Schwangerschaft. Nach der Darstellung der Arbeitnehmerin äußerte der Geschäftsführer daraufhin, die Situation sei nun eine andere, er werde sich mit dem Rechtsanwalt der Arbeitgeberin besprechen. Am 28.11.2011 – dem letzten Tag der Klagefrist – äußerte der Geschäftsführer gegenüber der Arbeitnehmerin, man müsse am nächsten Tag miteinander über die Kündigung reden. Am 16.01.2012 reichte die Klägerin (verfristet) Kündigungsschutzklage ein und beantragte die nachträgliche Zulassung dieser Klage.

Das LAG hat den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückgewiesen. Eine verspätet erhobene Klage sei nur nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer trotz aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klagefrist einzuhalten. Führen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung Verhandlungen über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, genüge dies für sich genommen nicht, um eine spätere Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.

Erst wenn der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses getroffen oder wenigstens eine diesbezügliche Zusage gemacht habe, könne von einer Erhebung der Kündigungsschutzklage innerhalb der Klagefrist abgesehen werden. Die Arbeitnehmerin habe ohne eine bindende Vereinbarung oder Zusage über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf eigenes Risiko von einer rechtzeitigen Klageerhebung abgesehen. Auch habe der Geschäftsführer der Arbeitgeberin sie durch seine Äußerung am letzten Tag der Klagefrist nicht arglistig von einer vorsorglichen Klageerhebung abgehalten.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.11.2012 – 6 Sa 1754/12

(Quelle: Beck online)

Kein Annahmeverzug während der Streikteilnahme nach Kündigung

Beteiligt sich ein außerordentlich gekündigter Arbeitnehmer an einem Streik, steht ihm für diese Zeit auch dann kein Annahmeverzugslohn zu, wenn in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird. Wer streikt, ist nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB.

Im März 2010 forderte die zuständige Gewerkschaft die nicht tarifgebundene Beklagte zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrags auf. Am 08.04.2010 wurde eine Tarifkommission gewählt. Am Folgetag kündigte die Beklagte der Klägerin und weiteren Mitgliedern der Tarifkommission ordentlich zum 30.06.2010. Am 12.04.2010 rief die Gewerkschaft die Belegschaft der Beklagten zum Streik auf. Am 24.04.2010 kündigte die Beklagte der streikenden Klägerin sowie weiteren Arbeitnehmern fristlos. Die Klägerin und die anderen gekündigten Beschäftigten erhoben Kündigungsschutzklage. Mit Urteil vom 14.07.2010 stellte das ArbG die Unwirksamkeit sämtlicher außerordentlicher und ordentlicher Kündigungen fest. Der Streik wurde daraufhin – ohne Tarifabschluss – beendet.

Die Klägerin nahm die Beklagte gerichtlich auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 25.04.2010 bis zum 15.07.2010 in Anspruch. ArbG und LAG wiesen die Klage ab.

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG hat sie keinen Vergütungsanspruch für den streitgegenständlichen Zeitraum. Zwar wäre die Beklagte durch den Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 22.04.2010 an sich in Annahmeverzug gekommen. Dem Anspruch auf Verzugslohn nach § 615 Satz 1 BGB stehe jedoch entgegen, dass die Klägerin sich in der Zeit, für die sie Annahmeverzugsvergütung verlangt, an dem von der Gewerkschaft geführten Streik beteiligt hat. Die Klägerin sei daher nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB gewesen.

Dem Einwand der Klägerin, sie sei nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte nicht mehr deren Arbeitnehmerin gewesen, folgte das BAG nicht. Wegen des aus Sicht der Klägerin erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses habe das Arbeitsverhältnis nicht geendet, sondern im streitgegenständlichen Zeitraum fortbestanden.

Der Sachverhalt sei auch nicht vergleichbar mit dem eines Arbeitnehmers, der sich für den Zeitraum der Streikteilnahme in zulässiger Weise aus dem betrieblichen Zeiterfassungssystem abmeldet. Während sich dieser Arbeitnehmer während der Teilnahme an der Streitkundgebung in Freizeit befinde und deshalb durch die Streikteilnahme keine Arbeitspflichten aufheben könne, habe sich die Klägerin nicht in ihrer Freizeit an einem Streik beteiligt, sondern zu einer Zeit, während derer sie nach objektiver Rechtslage zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.

Das Urteil ist überzeugend begründet. Nach § 297 BGB setzt Annahmeverzug Leistungsvermögen des Arbeitnehmers voraus. Der Arbeitnehmer muss subjektiv willens und objektiv in der Lage sein, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, wie dies etwa bei Krankheit oder einem Beschäftigungsverbot der Fall ist, kann Annahmeverzug nicht bestehen (ErfK/Preis, § 615 BGB Rn. 43 m.w.N.).

Könnte die Klägerin für die Dauer der Streikteilnahme eine Vergütung beanspruchen, wäre dies im Übrigen eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung im Verhältnis zu ungekündigten streikenden Arbeitnehmern. Diese verlieren wegen der Streikteilnahme ihren Vergütungsanspruch.

Allerdings hatte die Klägerin im Verfahren darauf hingewiesen, dass die Gewerkschaft einem ungekündigten Arbeitnehmer während des Streiks eine Streikbeihilfe, einem gekündigten Arbeitnehmer dagegen nur eine geringere und zudem zurückzuzahlende Solidaritätsunterstützung gewährt. Möglicherweise wird das vorliegende Urteil dazu führen, dass entsprechende Bestimmungen in den Satzungen der Gewerkschaften geändert werden.

BAG, Urteil vom 17.07.2012 – 1 AZR 563/11

(Quelle:beck-fachdienst Arbeitsrecht – FD-ArbR 2012, 340413)

Wettbewerbstätigkeit während Freistellung nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages

Vereinbaren die Parteien im Aufhebungsvertrag die Freistellung für den Rest der Kündigungsfrist und sieht der Aufhebungsvertrag nicht ausdrücklich die Anrechenbarkeit anderweitigen Verdienstes vor, muss sich der Arbeitnehmer die Vergütung aus einer noch während der Kündigungsfrist aufgenommenen Wettbewerbstätigkeit nicht auf das fortzuzahlende Entgelt anrechnen lassen.

Der beklagte Arbeitnehmer war bei dem klagenden Arbeitgeber als Produktionsmanager beschäftigt. Nachdem der Arbeitgeber gekündigt hatte, wurde ein Aufhebungsvertrag geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung per 31.01.2010 enden sollte und der Kläger bis dahin unter Fortzahlung vertragsgemäßer Vergütung freigestellt sein sollte. Spätestens seit dem 01.12.2009 stand der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis mit einem der führenden Wettbewerber, bei dem er eine fast gleich hohe Vergütung erzielte. Nachdem der Arbeitgeber davon erfahren hatte, forderte er die während der Freistellungsphase gezahlte Vergütung zurück.

Die Klagen blieben in allen Instanzen erfolglos.

Wie sich aus der zweitinstanzlichen Entscheidung des LAG Baden-Württemberg  entnehmen lässt, hatte sich der klagende Arbeitgeber parallel auf drei verschiedene Anspruchsgrundlagen berufen, blieb jedoch in jeder Hinsicht erfolglos:

– Eine Anrechnung des anderweitigen Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB verneinte das BAG. Mit der Freistellungsvereinbarung im Aufhebungsvertrag sei die Arbeitspflicht des Beklagten erloschen und deshalb sei § 615 Satz 2 BGB (Annahmeverzug) nicht anwendbar.

– Zwar habe auch während der Freistellungsphase das gesetzliche Wettbewerbsverbot (§ 60 HGB bzw. § 241 BGB) gegolten. Deshalb habe sich der Beklagte schadenersatzpflichtig gemacht. Dass der Beklagte anderweitigen Verdienst erzielt habe, stelle für den Arbeitgeber jedoch keinen Schaden dar.

– Die Sondervorschrift des § 61 HGB greife nicht. Die Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses sei kein „Geschäftemachen“ im Sinne dieser Vorschrift.

BAG, Urteil vom 17.10.2012 – 10 AZR 809/11

(Quelle: beck-fachdienst Arbeitsrecht – FD-ArbR 2012, 339225)

Fristlose Kündigung nach verbaler Bedrohung des Vorgesetzten

Ein bei der Stadt Mönchengladbach beschäftigter Arbeiter hatte seinen unmittelbaren Vorgesetzten mit den Worten «Ich hau dir vor die Fresse. Ich nehme es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation. Wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal» bedroht und wurde dafür fristlos gekündigt. Das Arbeitsgericht Mönchengladbach hat seine Kündigungsschutzklage jetzt abgewiesen.

Die Sechste Kammer hält die fristlose Kündigung für rechtswirksam, da der Kläger seinen Vorgesetzten in strafrechtlich relevanter Art und Weise bedroht habe. Erst recht, da der im Bereich Straßenmanagement bei der Stadt beschäftige Kläger laut Feststellungen des Gerichts wegen der Bedrohung seines damaligen Vorgesetzten ungefähr ein Jahr zuvor bereits abgemahnt worden war. Desweiteren ließ sich auch nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Behauptung des Klägers, zuvor von seinem Vorgesetzten massiv provoziert worden zu sein, nicht beweisen.

ArbG Mönchengladbach, Urteil vom 07.11.2012 – 6 Ca 1749/12

(Quelle: Beck online)

Kündigungsschutzklage ist nach Freigabeerklärung nicht gegen den Insolvenzverwalter, sondern den Arbeitgeber zu richten

Mit der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 35 Abs. 2 InsO geht die Verfügungsbefugnis über die Arbeitsverhältnisse mit sofortiger Wirkung wieder auf den Arbeitgeber als Schuldner über. Der Insolvenzverwalter ist ab diesem Zeitpunkt für eine Kündigungsschutzklage nicht mehr passiv legitimiert.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der Arbeitgeber erklärte gegenüber dem Kläger die außerordentliche Kündigung wegen Insolvenz. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 15. Mai 2010 zu.

Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Arbeitgebers bestellte. Dieser teilte dem Arbeitgeber am 21. Mai 2010 schriftlich mit, dass er die von ihm ausgeübte selbständige Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus der Insolvenzmasse frei gebe.

Der Kläger hat am 01. Juni 2010 Kündigungsschutzklage erhoben. Der Beklagte meint, er sei in diesem Rechtsstreit nicht passiv legitimiert. Die Klage hätte gegen den Arbeitgeber gerichtet werden müssen. Durch die Freigabeerklärung habe der Arbeitgeber die Verfügungsbefugnis über die Arbeitsverträge wieder erhalten.

Das LAG Niedersachsen ist der Rechtsauffassung des Insolvenzverwalters gefolgt.

Die arbeitsrechtliche Wirkungen der Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsOExterner Link liegen in dem Übergang der Arbeitgeberstellung. Die Haftung der Insolvenzmasse wird mit Wirksamwerden der Freigabe beendet. Der Schuldner tritt (wieder) in die Arbeitgeberstellung ein und wird damit Träger der Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen. Dies betrifft die Arbeitsverhältnisse, die bereits vor Insolvenzeröffnung sowie darüber hinaus bestanden und nunmehr im Wege der Freigabe dem Schuldner zugewiesen werden. Der Schuldner erlangt damit wieder die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, die durch die Insolvenzeröffnung gemäß § 80 InsO (zunächst) auf den Insolvenzverwalter überging.

In der Rechtsprechung und Literatur wird allerdings nicht einheitlich beurteilt, ob durch die Freigabe die Arbeitsverhältnisse mit sofortiger Wirkung auf den Arbeitgeber übergehen oder ob es noch einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter bedarf.

Die Kammer folgt jedoch der Auffassung, dass die Arbeitsverhältnisse im Falle einer Erklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 35 Abs. 2 InsO mit sofortiger Wirkung an den Schuldner zurück fallen. Eine Kündigung sei überflüssig.

Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung in § 35 Abs. 2 InsO, wonach die Selbständigkeit des Schuldners gefördert und die Masse geschützt werden soll.

Somit erhielt der Arbeitgeber mit Zugang der Erklärung des Beklagten gemäß § 35 Abs. 2 InsO am 21. Mai 2010 die Verfügungsbefugnis über die Arbeitsverträge zurück mit der Folge, dass der Kläger ab diesem Zeitpunkt seine Kündigungsschutzklage gegen den Arbeitgeber hätte richten müssen. Dies hat er nicht getan.

Wiedereinstellungskriterien dürfen von Kündigungskriterien abweichen

Bei der Gestaltung eines Wiedereinstellungsanspruchs sind Betriebsparteien nicht dazu verpflichtet, die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer nach den gleichen Regeln auszuwählen, wie bei der Sozialauswahl. Eine Bevorzugung älterer Arbeitnehmer stellt zwar eine Altersdiskriminierung dar, die ist jedoch gerechtfertigt.

Die Klägerin war bei der Arbeitgeberin als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Im Juli 2008 verständigte sich die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat auf eine Auswahlrichtlinie, einen Interessenausgleich mit Namensliste und einen Sozialplan. Dazu bildeten die Betriebsparteien auch Altersgruppen. Danach sollten mehrere Mitarbeiter – darunter die Klägerin – gekündigt werden.

Nachdem mehrere Mitarbeiter ihr Arbeitsverhältnis auflösten und die Beklagte im März 2009 eine Stellenanzeige aufgab, forderte die Klägerin die Beklagte auf, sie wieder einzustellen. Das Arbeitsgericht Bonn hat einen Anspruch der Klägerin auf Wiedereinstellung abgelehnt. Auch die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Köln blieb ohne Erfolg.

Für den von der Klägerin geltend gemachten Wiedereinstellungsanspruch besteht keine Anspruchsgrundlage. Der Sozialplan begründet keine Verpflichtung der Beklagten zur Wiedereinstellung. Die Vorschrift sieht lediglich eine entsprechende Berechtigung der Beklagten vor. § 2.3 des Interessenausgleiches begründet zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Wiedereinstellung. Die Klägerin kann sich jedoch auf diese Anspruchsgrundlage nicht berufen, weil die Zahl der auf der Namensliste aufgeführten Mitarbeiter, die älter als die Klägerin sind, größer ist, als die Zahl der Arbeitnehmer, die einvernehmlich ausgeschieden sind.

Die Regelung in § 2.3 des Interessenausgleiches ist auch wirksam. Es besteht keine rechtliche Verpflichtung der Betriebsparteien, bei der Bestimmung der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer nach den gleichen Kriterien vorzugehen, wie bei der sozialen Auswahl. Die Bestimmung führt auch nicht zu einer unzulässigen Altersdiskriminierung. Sie enthält zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters; diese erweist sich jedoch als gerechtfertigt.

Selbst wenn entgegen der vom Gericht vertretenen Auffassung von einer unzulässigen Benachteiligung wegen des Alters auszugehen wäre, ergäbe sich daraus für die Klägerin kein Wiedereinstellungsanspruch. In diesem Fall wäre § 2.3 des Interessenausgleiches gemäß § 139 BGB nichtig. Rechtsfolge wäre nicht, dass die im Interessenausgleich zur sozialen Auswahl vorgesehene Altersgruppenregelung zur Anwendung käme. Heranzuziehen wären mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung vielmehr die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Auswahlentscheidung beim Wiedereinstellungsanspruch. Nach diesen Kriterien hätte der Klägerin schon deswegen die Wiedereinstellung nicht angeboten werden müssen, weil sie selbst dann, wenn auf die strengeren Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG abgestellt wird, nicht zum Zuge käme. Die Klägerin kann sich schließlich nicht auf die im März 2009 ausgeschriebenen Stellen berufen, weil die Ausschreibung lange nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt ist.

LAG Köln, Urteil vom 11.05.2012

Aktenzeichen: 5 Sa 1009/10

(Quelle:

Kündigung nach Arbeitsunfall in der Probezeit nicht treuwidrig

Die Kündigung eines während der Probezeit bei einem Arbeitsunfall verletzten Arbeitnehmers ist per se weder sittenwidrig noch treuwidrig. Dies hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf am 15.10.2012 dem betroffenen Arbeitnehmer im Berufungsverfahren mitgeteilt. Daraufhin endete das Verfahren mit der Rücknahme des Rechtsmittels.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 19.09.2011 als Industriemechaniker in der Scherenendmontage tätig. Bei einem Arbeitsunfall am 16.11.2011 wurden ihm vier Finger der rechten Hand abgetrennt. Drei Finger wurden erfolgreich reimplantiert. Die Beklagte meldete den Unfall unverzüglich der Berufsgenossenschaft. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25.01.2012 unter Wahrung der für die Probezeit vereinbarten Kündigungsfrist zum 09.02.2012.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, weil die Beklagte sich treuwidrig verhalte. Solange nicht geklärt sei, wen das Verschulden an dem Arbeitsunfall treffe, komme eine Probezeitkündigung nicht in Betracht. Er behauptet, er habe kurz vor dem Aktivieren der Schneidemaschine noch den Auftrag erhalten, die Transportrollen zu überprüfen. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe die Maschine zusammen mit zwei Kollegen aktiviert und dann ohne jede Veranlassung in die bereits aktivierte Maschine gegriffen. Er habe sich bereits vor dem Arbeitsunfall als nicht «teamfähig» erwiesen, weil er sich nicht verlässlich an Sicherheitsvorkehrungen gehalten habe. Es sei deshalb zweimal zu unfallgefährlichen Situationen gekommen.

Das Arbeitsgericht hatte in erster Instanz die Klage abgewiesen. Die Kündigung habe keiner sozialen Rechtfertigung bedurft, weil die sechsmonatige Wartezeit für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes noch nicht abgelaufen war. Die Kündigung sei weder sittenwidrig (§ 138 BGB) noch treuwidrig (§ 242 BGB). Ein treuwidriges Verhalten der Beklagten habe der Kläger nicht darlegen können. Nach der Erörterung in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht nahm der Kläger seine Berufung zurück, sodass das Urteil des Arbeitsgerichts rechtskräftig geworden ist.

LAG Düsseldorf, Entscheidung vom 15.10.2012

(Quelle: Beck online)

Fristlose Kündigung eines Auszubildenden nach beleidigenden Facebook-Äußerungen wirksam

Einem Auszubildenden, der seinen Ausbilder auf Facebook beleidigt, kann fristlos gekündigt werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht Hamm am 10.10.2012 entschieden (Az. 5 Sa 451/12). Der Auszubildende hatte geschrieben, der Ausbilder sei ein «Menschenschinder und Ausbeuter».

Das LAG sah diese Äußerungen als Beleidigung des Ausbilders an. Der Auszubildende habe nicht annehmen dürfen, dass diese Äußerungen keine Auswirkungen auf den Bestand des Ausbildungsverhältnisses haben würden. Die Äußerung sei einer Vielzahl von Personen zugänglich gewesen. Auch die Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses stünden der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung nicht entgegen, da der Kläger bei Zugang der Kündigung bereits 26 Jahre alt gewesen sei. Die Revision wurde vom LAG nicht zugelassen.

LAG Hamm, Urteil vom 10.10.2012 – 5 Sa 451/12

(Quelle: Beck online)

Chatprotokolle vom Arbeitsplatzrechner dürfen verwertet werden

Private Chatprotokolle, die auf dem PC eines Arbeitnehmers gefunden werden, können im Kündigungsschutzprozess verwertbar sein, und zwar auch dann, wenn die Erlangung gegen das StGB, TKG und das BetrVG verstößt. Voraussetzung ist, dass nur eine gelegentliche private Nutzung gestattet war und der Arbeitgeber eine Überwachung dessen angekündigt hat.

Beim beklagten Arbeitgeber war nur die gelegentliche Internetnutzung erlaubt. Außerdem wurde jeder Beschäftigte darauf hingewiesen, dass der Mitarbeiter keine Vertraulichkeit erwarten darf und der Arbeitgeber die Nutzung überwachen und bei gegebener Notwendigkeit die Daten einsehen kann.

Der Kläger des vorliegenden Kündigungsschutzprozesses beging gegen den Arbeitgeber ein Vermögensdelikt. In der Folge wurde ihm gekündigt. Nach Ausspruch der Kündigung fand der Arbeitgeber auf dem betrieblichen PC private Chatprotokolle des Mitarbeiters. Mit den Inhalten dieser Protokolle konnte er das gegen ihn begangene Vermögensdelikt nachweisen.

Das Gericht hatte sich nun mit Frage zu befassen, ob dieses Vorgehen des Arbeitgebers rechtmäßig war und er diese Beweise auch verwerten durfte.

Der Arbeitgeber durfte auf Chatprotokolle zugreifen, entschied nun das LAG Hamm.

Stützt sich der Arbeitgeber zum Nachweis des Vorwurfs, der Arbeitnehmer habe ein gegen ihn gerichtetes Vermögensdelikt begangen, auf den Inhalt von Chatprotokollen, die auf dem Arbeitsplatzrechner des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung vorgefunden wurden, handelt es sich nicht um ein Nachschieben von Kündigungsgründen, zu dem der Betriebsrat vorher angehört werden muss.

Auch aus einer ggf. gegen § 206 StGB, § 88 TKG. § 32 BDSG und § 87 Absatz 1 Nummer 1 und 6 BetrVG verstoßenden Erlangung der auf einem Arbeitsplatzrechner vorgefundenen abgespeicherten Chatprotokolle folgt kein Beweisverwertungsverbot.

Dies gilt zumindest dann, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern lediglich eine gelegentliche private Nutzung elektronischer Ressourcen gestattet und zugleich darauf hinweist, dass bei einer Abwicklung persönlicher Angelegenheiten auf elektronischen Geräten und über das Netzwerk der Mitarbeiter keine Vertraulichkeit erwarten und der Arbeitgeber die Nutzung überwachen und bei gegebener Notwendigkeit die Daten einsehen kann, die der Mitarbeiter anlegt oder mit anderen austauscht. Ein Arbeitnehmer muss, wenn er illegale Aktivitäten gegen seinen Arbeitgeber entwickelt, bei einer derart eingeschränkten Vertraulichkeit der Privatnutzung damit rechnen, dass Spuren, die er durch die Nutzung von elektronischen Ressourcen des Arbeitgebers hinterlässt, in einem Prozess gegen ihn verwendet werden.

Das LAG hat die Revision zum BAG zugelassen.

LAG Hamm, Urteil vom 10.07.2012, 14 Sa 1711/10

(Quelle: Justiz NRW-online)